| Inhatsverzeichnis - Ausgabe
24 |
| 1. Liebe Mitglieder und Freunde | 2. Ein Leserbrief | 3. Artgerechte Haltung, Wirklichkeit oder Utopie? |
Artgerechte Haltung, Wirklichkeit oder Utopie?
Der Begriff artgerechte Haltung ist ein, wenn nicht sogar das Schlagwort für die Tierhaltung unserer Zeit. Artgerechte Haltung scheint das nonplusultra in der Tierhaltung zu sein, ja die einzig legitime Art der Tierhaltung. Mit diesem Begriff läßt sich scheinbar jegliche Form von Tierhaltung begründen oder ablehnen, denn das Schlagwort der "artgerechten Haltung" wird sowohl von den Befürwortern, als auch von den Gegnern der Haltung von Wildtieren in Menschenobhut, zur Unterstützung ihrer Argumentation herangezogen. Dabei wird die Diskussion sehr emotional geführt, mit meist sehr verhärteten Fronten zwischen Pro- und Contra-Seite.
Ich möchte deshalb versuchen, Ihnen den Begriff der artgerechten Haltung näher zu erläutern und somit dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen, was unabdingbar ist, will man sich nicht in Wortgefechten verlieren, sondern zum Wohle der Tiere, denn diese und nicht irgendwelche selbsternannten Fachleute stehen im Mittelpunkt, Änderungen in der Haltung erzielen. Dabei kann und muß jede Art von Vermenschlichung des Problems den Blick auf das Wesentliche verstellen. Nur eine fundierte sachliche Auseinandersetzung kann zu Ergebnissen führen, die eine echte Verbesserung für die Tiere darstellen und nicht die Bestätigung für erfolgreiche Lobbyarbeit einer der an der Diskussion beteiligten Parteien sind.
Gerade diese Sachlichkeit vermisse ich aber oftmals in den Gesprächen zwischen Tierhaltern und Tierschützern. Die von vielen Tierhaltern gebrauchte Argumentation, das habe man schon immer so gemacht und deshalb sei es gut, ist ebenso falsch und destruktiv wie die unzulässige Übertragung des tierischen Befindens auf die menschliche Gefühlswelt, die bei vielen Tierschützern gebräuchlich ist. Erstaunlicherweise lehnen dieselben Tierschützer, die ohne Bedenken menschliche Gefühle in die Tiere projizieren eine Übertragung von in Tierexperiment gewonnenen Erkenntnissen auf den Menschen wegen fehlender Ähnlichkeiten ab. Es wird also mit zweierlei Maß gemessen, so wie es gerade in die Sichtweise der Tierschützer paßt. Dies ist sicher ebenso absurd wie der umgekehrte Weg, den einige Tierhalter gehen. Sie lehnen jegliche Gefühlswelt bei Tieren ab, was sie in ihren Augen berechtigt, Tiere nach ihrem Willen und ihrer Willkür zu halten, ohne jemals die Bedürfnisse der Tiere zu reflektieren.
Was aber sind die Bedürfnisse der Tiere, was ist artgerecht oder anders gefragt, wie sieht eine artgerechte Haltung aus? §2 des 1998 novellierten Tierschutzgesetzes sieht vor, daß " jeder der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,dieses Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen" muß, kurz und gut, jeder Halter muß seine Tiere seiner natürlichen Art entsprechend halten.Dies klingt schön und scheint ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich unseren Mitgeschöpfen den Respekt zu geben, den sie als Lebewesen verdient haben. Dennoch erweist sich der Paragraph bei Durchleuchtung seines Körpers als leeres Gerüst von Phrasen, die in keinster Weise mit Inhalt gefüllt sind.
Denn was ist unter artgemäßen Verhaltensweisen zu verstehen. Heißt dies, daß jeder Zoo in ein Zebragehege auch ein Rudel Löwen integrieren muß, damit die Zebras ihr artgemäßes Fluchtverhalten ausleben können? Oder das in einer Voliere mit Wellensittichen in den Monaten der Trockenzeit in ihrem ursprünglichen Heimat kaum Futter und noch weniger Wasser gegeben werden darf, damit die Sittiche ihre artgemäßen Überlebensstrategien üben können.
Dies hätte sicherlich zur Folge, daß kaum ein Zoo in der Lage wäre, seinen Besuchern Zebras zu präsentieren, denn der erforderliche Nachschub wäre nicht zu bewältigen. Und eine Wellensittichhaltung wie oben beschrieben würde sicherlich diejenigen Tierschützer auf die Barrikaden bringen, die doch die artgerechte Haltung gefordert haben.
Sie sehen, so einfach läßt sich das Problem nicht lösen. Artgerechte Verhaltensweisen kann ein Tier nur in der seiner Art entsprechenden ökologischen Nische ausführen. Nur in seinem, ihm im Laufe der Evolution zugefallenen Lebensraum mit all seinen biotischen und abiotischen Faktoren, mit denen es in Interaktion steht, kann ein Tier sich artgerecht verhalten.
Eine Haltung in Menschenobhut bringt durch die Veränderung und Verarmung der auf das Tier wirkenden Reize andere Verhaltensweisen hervor, bzw. läßt vorhandene Verhaltensweisen brachliegen. Daß diese jedoch nicht, wie von vielen Gegnern der Arterhaltung in Menschenobhut angebracht, verloren gehen, zeigen die vielen Beispiele von verwilderten Haustieren. Selbst nach mehreren hundert Generationen bleiben viele Verhaltensweisen, die genetisch gefestigt sind, als Anlagen im Tier latent vorhanden, um bei Bedarf abgerufen zu werden.
Nach dem bisher Gesagten stellt sich die Frage, ob in Menschenobhut überhaupt artgerechte Haltung praktiziert werden kann? Wenn man diese als Haltung versteht, bei der alle natürlichen Verhaltensweisen und interartliche Beziehungen ausgelebt werden können, dann ist dies mit Sicherheit nicht möglich, wie ich Ihnen an den genannten Beispielen verdeutlicht habe. Tierhaltung in Menschenobhut kann nur ein Kompromiß sein, denn die Natur können wir nicht kopieren. Ich bin mir allerdings sicher, daß dies selbst die Gegner der Wildtierhaltung nicht wünschen. Denn es kann wohl in keinster Weise wünschenswert sein, Nahrungsmangel und Feinddruck in unsere Haltungsbedingungen zu integrieren. Ich möchte den Tierschützer sehen, der angesichts einer Voliere Graupapageien mit leeren Futternäpfen und ebenso leeren Wassernäpfen, dies als natürliche und damit artgerechte Haltung gutheißt, nur weil in Afrika, der Heimat der Graupapageien gerade Trockenzeit ist und die dort lebenden Exemplare ebenfalls unter Nahrungs- und Wassermangel leiden. Der Begriff artgerechte Haltung ist also eine Mogelpackung; artgerechte Haltung ist, wenn sie so wie gerade aufgezeigt verstanden wird, nicht nur in Menschenobhut unmöglich, sie ist sogar das Gegenteil von dem, was wir unter einer angemessenen und vernünftigen Wildtierhaltung verstehen.
Wird sie jedoch im Sinne einer tiergerechten Haltung verstanden, also einer Haltung, die versucht, die wesentlichen Bedürfnisse eines Tieres zu erfüllen, dann ist sie durchaus praktikabel und zum Wohle des Tieres.
Was aber ist hierunter zu verstehen? Und wie ist sie in der Praxis umsetzbar ? Nun, eine Haltung, die tiergerecht ist, setzt sich mit den Bedürfnissen der Tiere auseinander, stellt sie in den Mittelpunkt und versucht diese Bedürfnisse zu erfüllen. Was aber sind die Bedürfnisse der in unserer Obhut befindlichen Tiere? Ich denke, hier muß man unterteilen zwischen Grundbedürfnissen und sekundären Bedürfnissen, die erst auftreten, wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind.
Zu den Grundbedürfnissen eines jeden Tieres gehört Nahrung und Schlaf und der Schutz vor schädlichen Einflüssen, z.B. Verletzungen durch Feinde oder Rivalen. Diese Bedürfnisse sind ein absolutes Muß in der Tierhaltung, werden sie nicht erfüllt, ist die Haltung abzulehnen.
Aber selbst bei diesen grundlegenden Anforderungen hapert es noch immer, speziell beim Punkt Ernährung. Tiergerechte Ernährung heißt, daß der Halter versucht, den Tieren ein dem natürlichen Nahrungsspektrum entsprechendes Nahrungsangebot zu bieten. Tiernahrung in Menschenobhut muß sich zwangsläufig von der Nahrung in freier Natur unterscheiden, besonders bei Exoten, denn es ist uns unmöglich, die natürlichen Nahrungsquellen bereitzustellen. Es ist aber möglich, die Ansprüche, die die Tiere an ihre Nahrung stellen, durch Ersatzstoffe, die der Zusammensetzung der natürlichen Nahrung entsprechen, zu befriedigen. Hier hat die Wissenschaft und auch die Futtermittelindustrie in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht. War z.B. vor einigen Jahren die Haltung von Kolibris kaum möglich, eine Zucht gar utopisch, so stehen dem Halter dieser Tiere heute Futtermittelpräparate zur Verfügung, die nicht nur eine Erhaltung der Tiere, nein sogar eine erfolgreiche Zucht ermöglichen. Dies gilt mittlerweile für fast alle Tierarten. Es ist deshalb unverständlich, daß immer noch Papageien falsch ernährt werden, obwohl qualitativ gute Futtermittel zur Verfügung stehen. Menschliche Nahrung und möge sie uns auch noch so gut schmecken, ist keine Tiernahrung, da sie eben auf die Bedürfnisse der Menschen und nicht der Tiere abgestimmt ist, nicht alles was uns schmeckt, ist auch für die von uns gepflegten Geschöpfe geeignet. Eine Vermenschlichung von Tieren ist in diesen Zusammenhang nicht nur falsch, sie ist fatal, oftmals mit letalem Ausgang für die Tiere. Auch das Argument, ein Tier fresse nur, was gut für es sei, kann in diesem Zusammenhang nicht greifen, zwar gilt diese Aussage für Pflanzen und Früchte in der natürlichen Umgebung, da in Gefangenschaft jedoch gänzlich unbekannte Futtermittel dargeboten werden, erkennen die Tiere nicht instinktiv, was schädlich ist und was nicht. Bei der Fütterung ist also ganz allein der Halter verantwortlich, Fehler, die er aus Unwissenheit oder Uneinsichtigkeit macht, schaden den gehaltenen Tieren, auch wenn sich diese Schädigung latent entwickelt und erst nach Jahren auftreten kann.
Die Grundbedürfnisse nach Schlaf und Schutz vor Verletzungen durch Feinde sind in Menschenobhut leichter zu erfüllen, es ist ja gerade ein Vorteil der Haltung in Menschenobhut, daß jeglicher Feinddruck fehlt.
Über diese Bedürfnisse hinaus, gibt es aber weitergehende Bedürfnisse, die ebenfalls erfüllt werden müssen, soll die Haltung dem Tier an sich gerecht werden. Zu diesen gehört das Bedürfnis nach einem arteigenen Partner, entweder dauerhaft oder bei den solitär lebenden Arten zumindest in der Paarungszeit, das Bedürfnis nach Fortpflanzung und das Bedürfnis nach Bewegung. Bei den intelligenteren Tierarten, die darüber hinaus einen Spieltrieb aufweisen, wozu die Papageien eindeutig zählen, gibt es weiterhin das Bedürfnis nach Beschäftigung.
> Artgerechte Haltung, Wirklichkeit oder Utopie? - Seite 2
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